Der Mitbewohner
Der Prinz staunte nicht schlecht als er am Morgen erwachte. Am Fußende seines Bettes saß ein oranges, kugeliges Etwas, dessen Fell grobund zottig an ihm herunterhing. Vorne ragte aus dem Etwas eine lange, nach unten gebogene Nase, vielleicht hatte es auch Augen, aber das war nicht so genau auszumachen. Vorsichtig hob der Prinz eine Hand unter der Bettdecke hervor, aber als er sich dem Etwas auf ungefähr 20cm genähert hatte, fing dies an zu zittern und zu vibrieren und gab einen Ton von sich, der wie eine Mischung aus Nähmaschinengeratter und Schweinequieken klang. »Ogottogott«, dachte der Prinz und zog schleunigst die ausgestreckte Hand unter die Bettdecke zurück. Da er ein
Held sein wollte (immer) und außerdem Lärm am Morgen nicht vertrug, fasste er einen Entschluss. Er würde blitzschnell das Kissen hinter seinem Kopf hervorziehen, das Etwas fangen und es mit einem zielsicheren Wurf aus dem geöffneten Schlafzimmerfenster befördern. Doch just in diesem Moment änderte sich der Tonfall des Etwas. Es schluchzte leise und schniefte herzergreifend und zitterte noch erbärmlicher als zuvor. Da der Prinz nicht nur ein besonders cooler Prinz war, sondern auch ein (heimlich) weichherziger, hob er eine Augenbraue und seufzte: »Was mach ich bloß mit Dir?« In diesem Moment klingelte es an der Tür. Das Etwas zuckte zusammen und rollte mit einer Geschwindigkeit, die den Prinzen die andere Augenbraue heben ließ, unter das Bett. Der Prinz ging zur Tür, vertrieb einen geschwätzigen Vertreter, doch als er zurück kam und unter das Bett blickte, da war das Etwas verschwunden. Er durchsuchte die ganze Wohnung, konnte es aber nicht wieder finden. »Tscha«, dachte der Prinz und vergaß die ganze Angelegenheit.



Bis zum Abend. Der Prinz war gerade dabei ein Sechserpack Bier seiner gerechten Kühlung zuzuführen, doch als er die Kühlschranktür öffnete fand er das Etwas mit der Nase in der Erdbeermarmelade und sein ganzes Fell war klebrig und schmierig und voller Marmeladentupfer. Wütend versuchte der Prinz es zu packen, aber geschwind rollte es an ihm vorbei die Wand hinauf - wobei es ein paar denkwürdige Streifen auf der Tapete hinterließ - bis zur Deckenlampe. An dieser hängte es sich mit seiner gebogenen Nase auf. Der Prinz sprang auf einen Küchenstuhl, doch ehe er die benötigte Höhe erreichte, war das Etwas bereits an der gegenüberliegenden Wand hinabgerollt und verschwand in Richtung Wohnzimmer. Dummerweise war es mittlerweile einigermaßen sauber gerollt und hinterließ keinen Hinweis auf seinen Aufenthaltsort. Dem Prinz dämmerte langsam, dass die Jagd vergeblich war und so setzte er sich und öffnete eines der lauwarmen Biere. Später am Abend hörte er noch den Wasserhahn im Badezimmer und das Rauschen des Wassers mischte sich mit einem zufriedenen Gluckern und Seufzen. Am nächsten Morgen drang ein verdächtiges Klackern aus seinem Arbeitszimmer. Der Prinz stieg aus dem Bett und fand das Etwas auf seinem Schreibtischstuhl. Mit seiner langen Nase hackte es wild auf der Tastatur herum. »NEIN!«, schrie der Prinz. Das ging ja nun gar nicht. Er griff ein Buch aus dem Bücherregal und warf es nach dem Etwas, das wie üblich von dannen rollte. Wohin auch immer. Als er sich dem Bildschirm näherte, sah er, dass das Etwas eine kleine Anwendung in Smalltalk geschrieben hatte und das sogar einigermaßen passabel. Da er dieses Grundbedürfnis prinzipiell nachvollziehen konnte, holte er einen seiner alten Rechner aus dem Keller. »Man kann nie wissen«, dachte der Prinz.

In der Folgezeit entwickelten beide eine Art Waffenstillstand. Der Prinz ließ ab und an etwas Essen stehen und das Etwas bemühte sich, nicht all zu sehr damit herumzusauen und am Abend tippelten beide gemeinsam etwas in ihre Rechner. Es schien nicht viel zu brauchen, blieb aber scheu, und kamen Freunde, so ließ es sich gar nicht blicken. Er versuchte etwas über es herauszufinden, aber es gelang ihm nicht. Nur prozedurale Sprachen schien es nicht sehr zu mögen. So vergingen die Tage und es wurde wieder Sommer und der Prinz ließ das Schlafzimmerfenster weit geöffnet. Auf dem gegenüberliegenden Baum sonnte sich die fette, graue Katze des Nachbarn und ließ ihren Schwanz hinabbaumeln. Er sah es gleich, als er nach Hause kam. Ein Fetzen oranges Fell lag auf dem Bett, eins auf dem Küchenboden, weitere über die gesamte Wohnung verstreut. Der Prinz sagte nichts und dachte nichts und ging in die Apotheke und kaufte eine Flasche Rattengift

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